Nippon Retro
Visual Resistance: Protest-Kultur im japanischen Dokumentarfilm
In der hiesigen Medienberichterstattung nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 wurde mit Verwunderung das Ausbleiben öffentlicher Massenkundgebungen von Kernkraftgegnern in Japan registriert. Das vermeintliche Harmoniebedürfnis der Japaner und deren Obrigkeitshörigkeit, so der eilige Fernbefund, seien die Gründe für das Fehlen einer Protestkultur in Japan. Nun mag es stimmen, dass die Zivilgesellschaft in Japan weniger stark ausgeprägt ist als in vielen westlichen Ländern, und die offene Konfrontation eher gemieden als gesucht wird, doch heißt das nicht, dass es in Japan nicht auch eine ausgeprägte Protestkultur gibt. Der Protest gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag vor 50 Jahren, an dem Hunderttausende teilnahmen, die Studentenproteste der späten 60er Jahre, die wesentlich heftiger ausgetragen wurden als jene in Europa oder den USA (THE OPPRESSED STUDENTS, PREHISTORY OF THE PARTISANS), der militante Widerstand der Bauern gegen den Bau des Flughafens in Narita (SUMMER IN NARITA), die Proteste der Opfer von Umweltschäden (MINAMATA: THE VICTIMS AND THEIR WORLD) oder die Squats der Folk-Guerilla-Bewegung (UNDERGROUND SQUARE) sind beredte Zeugnisse für öffentlichen Protest in Japan, der mitunter auch vor Gewalt nicht zurückschreckte. Blutige Massenproteste wie in der Vergangenheit stellen heute zwar die Ausnahme dar, doch sind an ihre Stelle zahlreiche neue Formen von Protest und Widerstand getreten (AMATEUR RIOT). (Dr. Roland Domenig, Wien)
Vor jedem Film der NIPPON RETRO wird Dr. Roland Domenig eine kurze Einführung geben.